Manyness – Ein Klangkunstwerk für Shirley Jaffe

Im Rahmen der Ausstellung Shirley Jaffe. Form als Experiment

Fr, 14.4. und Sa, 15.4., 13–18 Uhr, Neubau, Kostenlos

Fr, 12.5. und Sa, 13.5., 13–18 Uhr, Neubau, Kostenlos


«Ich spürte früh den bestimmenden Wunsch nach einer gewissermassen verschobenen Erfahrung, nach Komplexität, obwohl ich hier in einer Welt lebte, die immer mehr nach einer reduzierten Erfahrung suchte. Ob ich ihr nun bewusst nachgab oder nicht: Es gab da immer diese Sehnsucht danach, die Vielheit (engl.: manyness) der sichtbaren Ereignisse, die sich gleichzeitig abspielten, zum Ausdruck zu bringen und sie für Augenblicke auf der Leinwand festzuhalten. Diese Vielheit war nie symmetrisch und erstreckte sich nicht einmal über die ganze Leinwand. Ich habe immer versucht, etwas Eigenartiges und Unbefriedigendes, dabei aber Passendes ins Werk zu setzen.»
(Shirley Jaffe)


Ab 1963 verbrachte Shirley Jaffe anderthalb Jahre in Berlin. Dort fühlte sich die Künstlerin stark zu Musik von Komponisten wie Karlheinz Stockhausen, Iannis Xenakis und Elliott Carter hingezogen. Sie war beeindruckt vom «Abenteuer, das sie erlebten. Es machte mich mit neuen Klängen bekannt». Diese Musik ist Teil von Manyness, einem musikalischen Happening, das den Neubau des Kunstmuseums Basel in einen Klangerlebnisraum verwandelt.

Manyness erklingt an vier Tagen für jeweils fünf Stunden von 13 bis 18 Uhr ohne Unterbruch, nacheinander und gleichzeitig, sich ergänzend und überlagernd, in verschiedenen Räumen und Nischen, im Innenhof, in Garderoben und WC-Anlagen im Neubau des Kunstmuseums, aber nie direkt vor den Werken Shirley Jaffes.

Während diesen Stunden wird es zu virtuosen und lauten Momenten kommen wie im monumentalen Werk Persephassa von Iannis Xenakis, das von den sechs Schlagzeugern des Basler Sinfonieorchesters auf einer Vielzahl von kleinen und grossen Schlaginstrumenten gespielt wird. Aber es gibt auch ganz leise und fragile Passagen wie in Amour für Klarinette solo von Karlheinz Stockhausen. Die Klangkaskaden der Ultra-Modernistin Ruth Crawford Seeger stehen den nachdenklichen Klangbildern der jungen amerikanischen Komponistinnen Jessie Marino und Julie Herndon gegenüber. Das Programm Manyness soll mit seinen aufregenden und gewagten musikalischen Kompositionen den zutiefst experimentellen Charakter von Jaffes Werk unterstreichen.

Zwei Uraufführungen
Svetlana Maraš, Professorin für kreative Musiktechnologie und Co-Leiterin des Elektronischen Studios Basel, entwickelt für Manyness ein Stück, bei dem sie die hohe Wand zwischen Haupt- und Neubau des Kunstmuseums in den Tisch verwandelt, an welchem in der elektroakustischen Musik der Klang produziert wird. An dieser Wand werden Lautsprecher und Objekte an langen Schnüren bewegt und mit einer historischen Tonbandmaschine verbunden. Die musikalische Partitur leitet sich aus dem Bild Labyrinth von Shirley Jaffe ab.

Der Musiktheaterregisseur Philip Bartels entwickelt ein Werk angelehnt an Jaffes Gemälde Walkyrie. Die drei Musikerinnen Mariella Bachmann, Ellen Fallowfield und Simone Keller, die mit ihren aussergewöhnlichen Talenten auf den Instrumenten Klarinette, Violoncello und Klavier das Publikum an vielen Orten der Welt immer wieder in den Bann ziehen, setzen dieses für die Uraufführung im Kunstmuseum Basel mit Todesflöten und Windmaschinen um.

Manyness spielt bewusst mit Wiederholungen, indem die Musikstücke an einem Tag mehrmals zu hören sind, wobei keine Aufführung identisch ist. Das Publikum ist nie gezwungen, etwas «zu Ende» zu hören, da das ganze Gebäude pausenlos klingt und aus einer anderen Perspektive erwandert und gehört werden kann.

Daneben gibt es auch Musikstücke, die nur einmal erklingen: Dazu gehören ein Duo mit zwei Ondes Martenot, dem seltenen elektronischen Instrument, das Shirley Jaffe vielleicht in Paris in einem Konzert mit Musik von Olivier Messiaen gehört haben könnte, oder ein Stück des Komponisten Martin Lorenz für analoge Modular-Synthesizer unter Einbezug eines historischen Video-Synthesizers, der live abstrakte Bilder zur Musik generiert.

Simone Keller

Die klassisch ausgebildete Pianistin Simone Keller (*1980) bewegt sich in verschiedenen Stilen und Genres, sucht das Experimentelle und pflegt die Tradition. Als Brückenbauerin setzt sie sich insbesondere für einen breiten gesellschaftlichen Zugang zur Musik ein. Ihre intensive Konzerttätigkeit findet an namhaften internationalen Institutionen genauso wie an den Rändern und in den Nischen statt, wo sie sich unentwegt auf Neues und Ungewohntes einlässt.

Schliessen
Philip Bartels

Der Regisseur und Musiker Philip Bartels (*1978) bekennt sich in seinen Arbeiten zur kollektiven Kunst und sucht sich seine Herausforderungen in ambivalenten gesellschaftlichen Spannungsverhältnissen. Neben seinen Inszenierungen an Theaterinstitutionen sucht er immer wieder die künstlerische Auseinandersetzung mit Menschen, die auf der Bühne unterrepräsentiert sind und findet Orte, die noch nicht etabliert sind.

Schliessen

Seit 2010 arbeiten Philip Bartels und Simone Keller kontinuierlich zusammen und leiten seit 2014 gemeinsam das Kollektiv ox&öl, das Projekte im experimentellen Musiktheaterbereich und partizipative Vermittlungsangebote organisiert und durchführt, bei denen Diversität und Inklusion ein selbstverständlicher Teil der künstlerischen Praxis sind. So hat ox&öl beispielsweise über mehrere Jahre hinweg unter dem Titel «piccolo concerto grosso» ein generationenübergreifendes Projekt für Kinder aus multikulturellen Schulhäusern und Seniorinnen und Senioren in der Zürcher Tonhalle und im Grossen Saal des KKL Luzern lanciert, ein Sprechmusiktheater mit konkreter Poesie für Kinder und Stellensuchende auf die Bühne gebracht und über mehrere Jahre ein kollaboratives Konzertformat für jugendliche Straftäter im Justizvollzug ausgearbeitet und durchgeführt. ox&öl wurde mit dem Anerkennungspreis der Fachstelle für Kultur des Kantons Zürich im Bereich der kulturellen Teilhabe ausgezeichnet und wurde aufgrund seiner «richtungs-weisenden Vermittlungsarbeit» für den «Junge Ohren Preis» in Frankfurt am Main nominiert.

Es wurden keine Veranstaltungen gefunden.