13 Apr. 2020
Die Führungsreihe "Inspired by her" zu aktuellen weiblichen Positionen im Kunstmuseum Basel erfreut sich grosser Beliebtheit. Statt vor Ort im Haus stellt Iris Kretzschmar die Themen nun hier als Text vor. Den Beginn macht Suzanne Valadon.
Reich ist die Kunstgeschichte an Badeszenen, die mit der Lust des heimlichen Blicks spielen. Ganz anders, nicht als erotisches Lockmittel gehalten, sind die beiden Darstellungen in der Ausstellung Picasso, Chagall, Jawlensky: La Grenouille (1910) von Suzanne Valadon und die etwas früher entstandene Pastellzeichnung von Edgar Degas La tasse de chocolat (um 1900/1905). Der Altmeister war nicht nur Mentor der Jüngeren, er erkannte auch ihr Talent und kaufte ihre ersten Werke.
Eine künstlerische Ausbildung an der Akademie blieb Valadon als Frau verwehrt. Umso eindrücklicher ist ihr Weg als begabte Autodidaktin zur anerkannten Künstlerin. Geboren als uneheliche Tochter einer Wäscherin, stand sie schon mit 15 Jahren bei Puvis de Chavannes Modell, ihre eigenwillige Persönlichkeit und ihre Schönheit mit den langen dunklen Haaren faszinierten auch Auguste Renoir und Toulouse-Lautrec. Doch sie war nicht nur ein begehrtes Modell auf dem Montmartre, sie war als Frau und Künstlerin auch eine Ausnahmeerscheinung und setzte sich über viele gesellschaftliche Konventionen hinweg. Kaum 18 brachte sie Sohn Maurice zur Welt, der später unter dem Namen Utrillo Erfolge als Maler feierte und sie mit dem 20 Jahre jüngeren Maler André Utter bekannt machte. Dieser war jahrelang ihr Geliebter und auch, umkehrt zur traditionellen Geschlechterhierarchie, ihr Aktmodell für zahlreiche Bilder.
Eine ganze Reihe von Badeszenen hat Valadon zwischen 1908 und 1910 in Kohle, Pastell, als Radierung oder in Öl festgehalten. Meistens zeigen sie eine Bedienstete mit Schürze und eine jüngere nackte Frau in unterschiedlichen Posen. Zur Ausstattung des einfachen Interieurs gehören Waschschüssel oder Badewanne, Handtuch, Kommode, ab und zu ist auch ein Kind oder ein kleiner Hund mit dabei.
Die Ähnlichkeit der Motive bei Degas und Valadon sind frappant, Ausdruck und Farbigkeit jedoch ganz anders. Was Degas diskret als Rückenakt in eine warmtonige Gegenlichtsituation hüllt, tritt bei Valadon in kühlen Farbtönen und Frontalität in Erscheinung. Fast tänzerisch anmutend, mit angewinkeltem Bein, die Arme auf den Wannenrand gestützt, steigt die junge Frau in den Zuber, während die blaugewandete Bedienstete sich über den Wannenrand beugt. Von dunklen Konturlinien umfangen, hebt sich der helle Körper vom grünlichen Hintergrund ab und konfrontiert uns direkt mit seiner Nacktheit. Beim 1909 entstandenen Akt Adam und Eva musste die Malerin noch das männliche Geschlecht kaschieren – das weibliche durfte, wie auch hier, unverhüllt erscheinen.
Die Figuren von Valadon wirken weder geschönt, noch sexualisiert. Vielmehr wird unser Auge durch die Unbefangenheit und Unverkrampftheit des Ausdrucks gefangen – ohne den Eindruck von Voyeurismus zu evozieren.
Autorin: Iris Kretzschmar, Kunsthistorikerin, Kunstvermittlerin und freie Autorin