31 März 2020
Dieser Text ist erschienen in der Programmzeitung, April 2020. Weil das Kunstmuseum Basel aktuell geschlossen ist und die Werke von und mit Kiki de Montparnasse deswegen nicht vor Ort in der Ausstellung "Picasso, Chagall, Jawlensky" angeschaut werden können, ist er auch hier zu lesen – zusammen mit einer Ausstellungsansicht der beiden Werke.
Wenn es in den 20er-Jahren die sozialen Medien schon gegeben hätte, wäre Kiki de Montparnasse sicher eine Influencerin mit unzähligen Followern gewesen. Wer war dieses Multitalent? 1901 als uneheliche Tochter einer Arbeiterin im Burgund geboren und in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen, kam sie als Zwölfjährige nach Paris und eroberte sich einen Platz in der Kunstszene. Dank ihrer sozialen und künstlerischen Fähigkeiten konnte sie über längere Zeit ein selbstbestimmtes Leben in einem männerdominierten Umfeld führen. Ihre letzten Jahre hingegen, weniger schillernd, waren von Alkohol und Drogenmissbrauch geprägt.
Die Spur dieser kecken Künstlerin und emanzipierten Frau hat sich bis heute nicht verloren und lebt in zahlreichen Gemälden unter anderem von Chaim Soutine, Amedeo Modigliani, Alexander Calder und in Filmexperimenten weiter wie zum Beispiel im Ballet Mécanique von Léger. Berühmt sind die Aufnahmen von Man Ray, dessen Modell und Geliebte sie in der wichtigsten Zeit seines surrealen Schaffens gewesen ist. Kiki gehörte zum engsten Kreis der Pariser Bohème, trat nicht nur als Tänzerin und Sängerin in Erscheinung, sie versuchte sich auch als Malerin und hatte 1927 eine ausverkaufte Ausstellung in der Galerie Au Sacre de Printemps. Ihre Darstellungen zeigen eine unbefangene, spontane Ausdrucksweise in gesättigten Farben. Wahrscheinlich war sie mit Karl im Obersteg bekannt, der eines ihrer Bilder und ihre signierten Memoiren besass. In der Ausstellung im Kunstmuseum Basel wird Les Lavandières (1927) neben dem ikonischen Akt von May Ray, Le violon d’Ingres (1924) gezeigt – zwei Bilder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während die Wäscherinnen wahrscheinlich auf Kikis Jugenderinnerungen zurückgehend, den Arbeitsalltag von Frauen zeigen, die mit gebeugten Rücken harte Arbeit verrichten, ist der geschwungene Rückenakt, inspiriert von einer Odaliske von Ingres, die Projektion eines begehrenden Blicks. Der Frauenkörper wird zum musikalischen Instrument, das jenseits von allen Mühen des Alltags die Sinne feiert.
Autorin: Iris Kretzschmar, Kunsthistorikerin, Kunstvermittlerin und freie Autorin