Der amerikanische Künstler Dan Flavin (1933–1996) war ein Pionier der Minimal Art. Bekannt wurde er für sein Schaffen mit industriell hergestellten Leuchtstoffröhren. Damit hat er eine neue Kunstform geschaffen und Geschichte geschrieben. Die Ausstellung im Kunstmuseum Basel fokussiert auf seine Arbeiten, die anderen Künstler:innen oder Ereignissen gewidmet sind. Als Dan Flavin 1963 eine handelsübliche Leuchtstoffröhre in einem 45-Grad-Winkel an der Wand seines Ateliers anbrachte – und diese kurzerhand zur Kunst erklärte –, war dies ein radikaler Akt. Tatsächlich war es dieser Aktion zu verdanken, dass kommerzielle Standardprodukte in die Kunst eingeführt wurden: Die in der damaligen Zeit aufkommende Minimal Art betonte Serialität, Reduktion und Sachlichkeit. Ironischerweise avancierte der amerikanische Autodidakt Flavin, der sich selbst nie als eigentliches Mitglied der Kunstströmung sah, buchstäblich zu deren leuchtendstem Vertreter.
Seit den frühen 1960er Jahren arbeitete Flavin mit Leuchtstoffröhren, die er in so genannten ‘Situationen’ anordnete und anschliessend zu Serien und Installationen weiterentwickelte. Die Farben und Dimensionen der verwendeten Materialien waren durch deren industrielle Produktion vorgegeben. Die Betrachtenden werden durch die Lichtflutung selbst zum Teil der Werke: Der Raum und die sich darin befindlichen Objekte werden in Beziehung zueinander gesetzt und schliesslich zu immersiven Kunsterlebnissen, die sinnliche, teils fast schon spirituelle Erfahrungen auslösen können. Damit befreite Flavin die Farbe von der Zweidimensionalität der Malerei. Bisher hatte sich das gängige Verständnis seiner Lichtarbeiten vornehmlich auf ihre minimalistische, industrielle Dimension und somit auf die Einfachheit ihrer Schönheit konzentriert.
Die Ausstellung im Kunstmuseum Basel jedoch legt den Fokus darauf, Flavins Oeuvre in einem unbekannteren Kontext zu sehen: Oft enthalten seine Arbeiten in den Titeln Hinweise auf konkrete Ereignisse, etwa Kriegsgräuel oder Polizeigewalt, oder sind anderen Künstler:innen gewidmet – beispielsweise das Werk untitled (in memory of Urs Graf), das den Innenhof des Hauptbaus allabendlich in buntes Licht taucht.
Mit der grossen Sonderausstellung im Kunstmuseum Basel nehmen die Kurator:innen diese Erzählstrategien anhand von Werken und Serien aus dem gesamten Schaffen Flavins unter die Lupe und laden zu einem sinnlichen Parcours durch sein einzigartiges Schaffen ein.
Das Werk ist eine Collage aus Gips, Holz, Ölfarbe, Bleistift und einer zerdrückten Aluminiumdose, die Flavin dem Maler Ward Jackson (1928–2004) widmet. Er lernt
Jackson 1958 im Solomon R. Guggenheim Museum in New York kennen, wo beide als Aufsichten arbeiten. Jackson wird ein enger Freund und wichtiger Berater für Flavin.
Der Titel bezieht sich auf den französischen Dichter Guillaume Apollinaire (1880–1918), der im Ersten Weltkrieg an der französischen Front kämpfte. Bei einem Einsatz 1916
wurde er von einem Granatsplitter am Kopf verletzt und erhielt anschliessend eine Tapferkeitsmedaille.
1961 heiratet Flavin Sonja Severdija, die Kunstgeschichte an der New York University studiert und als Büroassistentin im Museum of Modern Art arbeitet. Zur selben Zeit
beginnt Flavin mit der Arbeit an seinen icons – einfache Holzkonstruktionen mit elektrischem Licht –, die Sonja mit ihm baut. Flavin widmet seiner Frau in den kommenden Jahren mehrere Arbeiten, darunter dieses Werk.
Seinen künstlerischen Durchbruch hat Flavin mit dem Werk the diagonal of May 25, 1963 (to Constantin Brancusi), eine gelbe Fluoreszenzröhre, die er in einem 45°-Winkel
an der Wand befestigt. Die Widmung richtet sich an den Bildhauer Constantin Brancusi (1876–1957), dessen Skulptur Endless Column at Targu Jiu von 1938 ihm als Inspiration
diente. Eine kurz darauf entstandene Version von Flavins Arbeit – dieses Mal in cool white – widmet er dem Kunsthistoriker Robert Rosenblum, dessen Kurse an der Columbia University in New York er besuchte.
Am 31. März 1964 eröffnet in der Kaymar Gallery, New York, die Gruppenausstellung Eleven Artists, die von Flavin organisiert wurde. Flavin zeigt bei dieser Gelegenheit
seine Installation alternate diagonals of March 2, 1964 aus demselben Jahr. Die Arbeit ist Teil einer Serie, die vier farblich verschiedene Ausführungen enthält. Zu einem späteren Zeitpunkt ergänzt Flavin die Widmung an seinen Freund, den Minimal-Art Künstler Donald Judd (1928–1994). Die beiden lernten sich 1962 in Brooklyn kennen und blieben ihr Leben lang befreundet.
Das Werk wird erstmals bei Flavins Einzelausstellung dan flavin: fluorescent light in der Green Gallery in New York gezeigt (18.11.–12.12.1964). Die Arbeit widmet er seinem
Malerfreund Jasper Johns (*1930), der vor allem in den 1950er Jahren für Furore in der Kunstwelt sorgte. Flavin platziert das Werk in einer Ecke und setzt damit ein kühnes
Zeichen, indem er einen normalerweise übersehenen Bereich buchstäblich beleuchtet.
In den Jahren 1964 bis 1990 produziert Flavin insgesamt 50 Exponate für die Werkreihe «monuments» for V. Tatlin. Der russische Konstruktivist Vladimir Tatlin (1885–1953)
war ein einflussreicher Künstler nach den Revolutionen in Russland 1917, deren Ideale er in seiner Kunst zum Ausdruck bringen wollte. Flavin ist besonders beeindruckt vom
Monument für die Dritte Internationale, das Tatlin 1919–1920 plante und das Flavin zu einer Vielzahl von Variationen in weissen Lichtfarben inspiriert. Der von Tatlin geplante
Turm in Form einer doppelten Helix wurde wegen Materialmangels und statischen Unsicherheiten nie umgesetzt. Tatlin selbst fiel während des Stalinismus in Ungnade.
Das Werk widmet Flavin dem französischen Künstler, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tätig war. Herni Matisse (1869–1954) wurde vor allem für seine
Farbexperimente und expressive, flächige Malweise bekannt.
Im April 1966 eröffnet die von Kynaston McShine kuratierte Ausstellung Primary Structures: Younger American and British Sculptors im Jüdischen Museum in New York
(274.–12.6.). Flavin ist mit dem Werk corner monument 4 for those who have been killed in ambush (to P. K. who reminded me about death) vertreten, mit dem er ein Zeichen
gegen den Vietnamkrieg setzen will. Die Widmung an seinen Freund, den Cellisten Paul Katz (*1941), geht zurück auf ein Gespräch der beiden über den Krieg, in dem Katz auf
die hohe Zahl der Opfer hinweist. Nach der Ausstellung wird das Werk im Nachtclub Max’s Kansas City installiert, der seit der Eröffnung 1965 ein beliebter Treffpunkt der
Kunstszene in Lower Manhattan, New York, ist.
Am 4. Juli 1970 stirbt der Maler Barnett Newman (1905–1970). Flavin widmet seinem verstorbenen Freund die Werkreihe untitled (to Barnett Newman). Newmans Kunst wird
dem abstrakten Expressionismus zugeordnet und war eine wichtige Inspirationsquelle für Flavins künstlerisches Schaffen. Kurz nach Newmans Tod sah Flavin in dessen
Atelier die Werkreihe Who’s Afraid of Red, Yellow, and Blue. Von Newmans Erkundungen der Primärfarben begeistert, nutzte Flavin rote, gelbe und blaue Leuchtstoffröhren in einigen seiner Werke.
Dieses Werk widmet Flavin dem demokratischen Präsidentschaftsanwärter George McGovern, der 1972 gegen den Republikaner Richard Nixon kandidiert. Flavin war einer
von vielen Kunstschaffenden, die McGovern bei seiner Wahlkampagne unterstützten. Das Werk ist erstmals in der Ausstellung an exposition of cool white and warm white
circular fluorescent light from Dan Flavin in der Leo Castelli Gallery, New York, ausgestellt (4.–25.11.1972). Die Ausstellung eröffnet nur drei Tage vor der Präsidentschaftswahl, bei der McGovern gegen Nixon verliert.
Seit 1968 arbeitet Flavin mit dem deutschen Kunsthändler Heiner Friedrich (*1938) zusammen, der eine Galerie in München betreibt und 1970 in die USA übersiedelt. Das
Werk schafft Flavin eigens für die Ausstellung Dan Flavin: three installations in fluorescent light/Drei Installationen in fluoreszierendem Licht in der Kunsthalle Köln
(9.11.1973–6.1.1974). Friedrich ist 1974 Mitbegründer der Dia Art Foundation und ein wichtiger Unterstützer von Flavins Arbeit.
In Zusammenhang mit der Doppelausstellung im Kunstmuseum Basel und der Kunsthalle Basel 1975 schafft Flavin das Werk für den Innenhof des Kunstmuseums. Die Widmung richtet sich an den Schweizer Renaissance-Künstler Urs Graf (1485–1528), von dem Flavin für die eigene Ausstellung eine Auswahl von Zeichnungen aus dem
Kupferstichkabinett des Kunstmuseums trifft.
Für die Ausstellung large installations by Dan Flavin bei Heiner Friedrich, Inc. New York (15.1.–26.2.1977) schafft Flavin unter anderem zwei Werke, die er dem deutschen
Maler und Kunsttheoretiker Josef Albers (1888–1976) widmet. Es handelt sich hierbei um eine Widmung an einen Künstler, der sich intensiv mit Farbtheorien
auseinandersetzte und zu den wichtigsten Denkern und Lehrern des Bauhauses gehörte. In seinen Werken untersuchte er das Zusammenspiel und die Wirkung von einzelnen
Farben. Albers verliess Deutschland nach der Machtergreifung der NSDAP 1933 und immigrierte in die USA, wo er längere Zeit lehrte.
Mit seinem Golden Retriever Airily reist Flavin an diverse Hundeschauen. Die Hündin gewinnt mehrere dieser Wettbewerbe und erhält die höchste Bewertung, die ein Golden
Retriever in den USA je erhalten hat. Als Zeichen der Zuneigung widmet er ihr 1984 diese Grossinstallation.
Flavin widmet diese Serie seinem Freund Donald Judd, die mit viel Ironie auf dessen künstlerisches Schaffen verweist, das sich durch industriell hergestellte Materialien und
Formen in reinen Farben auszeichnet. Nummern 1 bis 5 der Serie werden 1997 in dem von Judd 1986 angekauften Gebäude an der 101 Spring Street (heutige Judd Foundation)
installiert.
Für die Ausstellung Dan Flavin: untitled (for Otto Freundlich) 1990 themes and variations in der Annemarie Verna Galerie, Zürich (31.5.–14.7.1990), widmet Flavin
eine Werkreihe dem deutschen Maler, Bildhauer und Glasmaler Otto Freundlich (1878–1943). Der gebürtige Deutsche zog 1924 nach Paris, wo er bis 1943 lebte, bevor er in ein
Vernichtungslager deportiert und dort ermordet wurde. Er gilt als einer der ersten abstrakten Künstler in Europa, dessen Kunst von den Nazis jedoch beschlagnahmt und
als ‘entartet’ angeprangert wurde. 1971 kaufte Flavin eine auf 1930 datierte Tuschezeichnung von Freundlich.
Die Serie wird 1990 erstmals in der Donald Young Gallery in Chicago gezeigt (27.9.–27.10.). Die ähnlich konstruierten Installationen, deren Lichtfarben jedoch
unterschiedlich zusammengesetzt werden, sind seriell im Raum angeordnet. Flavin widmet die Werke dem deutschen Künstler John Heartfield (1891–1968), dessen
politisch aufgeladene Arbeiten während des Nazi-Regimes in Deutschland verboten wurden.
Flavins Frühwerk besteht zum grössten Teil aus Zeichnungen und Aquarellen. Während seiner ganzen Karriere widmete er Werke nicht nur Freunden und Verwandten, sondern
auch von ihm bewunderten historischen Persönlichkeiten wie Vincent van Gogh (1853–1890). Flavin liess sich vielfach von Kunstschaffenden vorheriger Jahrhunderte
inspirieren und trägt eine grössere Sammlung von Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert zusammen. Über die ersten sechs Seiten von Flavins Leporello sind die
Worte «As for my work, I do it at my life’s risk and half my reason has foundered in it» (Was meine Arbeit betrifft, so verrichte ich sie unter Einsatz meines Lebens, und mein
halber Verstand ist daran zugrunde gegangen) zu lesen. Das Zitat stammt aus einem Brief van Goghs an seinen Bruder Theo. Das Schreiben fand sich nach Vincents
Selbstmordversuch am 29. Juli 1890 auf dessen Körper
Der Katalog zur Ausstellung mit Beiträgen von Simon Baier, Elena Degen, Jules Pelta Feldman, Arthur Fink, Josef Helfenstein, Aden Kumler, Daniel Kurjakovic, Olga Osadtschy & Mechtild Widric.
Das Kunstmuseum Basel lädt Sie ein, an der #KumuBaselPhotoChallenge auf Instagram teilzunehmen, inspiriert von der Sonderausstellung «Dan Flavin. Widmungen aus Licht».