Curt Glaser (1879–1943) war als Kunsthistoriker, Kurator und Kritiker eine zentrale Figur im Berliner Kunstleben der 1910er- und 1920er-Jahre und wurde doch nach seinem Tod fast vergessen. In seinem Schicksal verbinden sich das grosse Engagement für die moderne Kunst und die Abgründe des 20. Jahrhunderts. Mit seiner Frau Elsa trug er eine Privatsammlung zusammen, die herausragende Werke von Edvard Munch, Henri Matisse und Max Beckmann enthielt. Da er wegen seiner jüdischen Herkunft durch den NS-Staat verfolgt wurde und seine Position als Direktor der Berliner Kunstbibliothek verlor, emigrierte er 1933 in die Schweiz und 1941 in die USA. Im Mai 1933 liess er den Grossteil der Sammlung versteigern, die dadurch in alle Welt verstreut wurde.
Das Kunstmuseum Basel erwarb 1933 für das Kupferstichkabinett 200 Zeichnungen und Druckgrafiken aus Glasers Besitz. 2020 erzielte es mit den Erben Glasers eine «gerechte und faire Lösung» zum Verbleib der Werke, die international als best practice besprochen wurde. Die Ausstellung verknüpft den Lebensweg Curt Glasers mit beeindruckenden Werken, die zum ersten Mal wieder zusammen gezeigt werden. So lässt sie den Kosmos einer faszinierenden Sammlung erstehen und erhellt mit Glasers breitem Wirken in der Kunstwelt ein bisher unbeachtetes Kapitel der Moderne im Berlin der Weimarer Jahre.
Der Fall Curt Glaser. Aufarbeitung und Einigung
Als «entartete» Kunst wurde während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland (1933−1945) jene Kunst bezeichnet, die nicht ins Weltbild der Nationalsozialisten passte. Dazu gehörten Expressionismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit, Surrealismus, Kubismus und Fauvismus. Werke von jüdischen Künstler:innen und solche mit jüdischen oder politischen Themen waren besonders betroffen. 1937 wurde diese Kunst aus den deutschen Museen entfernt – insgesamt wurden mehr als 21'000 Objekte beschlagnahmt. Zahlreiche der Werke wurden in der Wanderausstellung «Entartete Kunst» in Deutschland präsentiert.
Mit dem 1938 erlassenen «Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst» konnte der deutsche Staat über die 1937 als «entartete» Kunst beschlagnahmten Werke verfügen. Sie wurden inventarisiert und sortiert. Etwa 780 Gemälde und Skulpturen sowie 3500 Arbeiten auf Papier wurden als «international verwertbar» eingestuft, d.h. sie erschienen für einen Verkauf gegen Devisen ins Ausland geeignet. Tatsächlich veräussert wurden fast doppelt so viele Werke. 125 Werke wurden 1939 in einer Auktion bei Theodor Fischer in Luzern versteigert, die anderen Werke gelangten über ausgewählte Kunsthändler auf den internationalen Markt. Ein Grossteil des «unverwertbaren Rests» wurde am 20. März 1939 in Berlin verbrannt.
Museale Provenienzforschung widmet sich der Geschichte der Herkunft von Kunstwerken und Kulturgütern. Der Kunstraub während der nationalsozialistischen Herrschaft stellt eine besondere Herausforderung für die Provenienzforschung dar. An einer Konferenz in Washington wurden 1998 von 44 Staaten elf Prinzipien verabschiedet, die bei der Lösung offener Fragen im Zusammenhang mit NS-Raubkunst helfen sollen, die sogenannten Washingtoner Prinzipien. Die Schweiz gehört zu den Unterzeichnerstaaten. Seither sind öffentliche Museen aufgefordert, ihre Sammlungen zu überprüfen. Ziel ist es, Lücken in der Herkunftsgeschichte zu schliessen und unrechtmässige Besitzerwechsel zu erkennen. Wenn nötig, wird die Rückgabe (Restitution) der betroffenen Werke an die rechtmässigen Eigentümer eingeleitet oder eine andere Form einer «gerechten und fairen Lösung» angestrebt.
Die unter Provenienzforschung erwähnten Washingtoner Prinzipien von 1998 haben für berechtigte Ansprüche im Zusammenhang mit NS-Raubkunst «gerechte und faire Lösungen» zwischen den Vorkriegseigentümer:innen oder deren Erb:innen und den heutigen Eigentümer:innen zum Ziel. Grundlage dafür ist die sorgfältige Prüfung des Einzelfalls. In der Praxis bedeutet das, dass eine Rückgabe des betreffenden Objekts an die Anspruchsteller:innen nicht die einzige Antwort sein muss. Die Institution hat zum Beispiel die Möglichkeit, das Werk zurückzugeben und es erneut zu kaufen. Oder sie kann die Anspruchsteller:innen finanziell entschädigen. Wichtig sind auch symbolische Leistungen, etwa die Würdigung der ehemailgen Besitzer:innen, des Werks und seiner Geschichte.
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden in Deutschland und in den annektierten und besetzten Ländern eine grosse Anzahl Kunstwerke aus privatem Besitz konfisziert. Es handelte sich um Kunst, die Jüdinnen und Juden gehörte oder Menschen, die aus anderen Gründen verfolgt wurden. Diese wurden enteignet oder zum Verkauf gezwungen. Der «Raub» fand auf der Grundlage einer Vielzahl von gesetzlichen Regelungen und unter Beteiligung diverser Behörden und eigens dafür eingerichteten Institutionen statt. Er wurde 1945 als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft.
Im Gegensatz zu Raubkunst bezeichnet «Fluchtgut» Kunstwerke, die aufgrund der NS-Verfolgung ihrer Eigentümer:innen in ein vergleichsweise sicheres Drittland − zum Beispiel in die Schweiz − gebracht und dort verkauft wurden. Anders als bei Raubkunst wurde den Eigentümer:innen zum Teil ein marktüblicher Preis gezahlt, über den sie frei verfügen konnten. Der Grund für die Verkäufe blieb jedoch derselbe, nämlich die nationalsozialistische Verfolgungs-, Enteignungs- und Beraubungspolitik.
Dieses Glossar wurde in möglichst verständlicher Sprache geschrieben. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
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Mit Beiträgen von Joachim Brand, Anita Haldemann, Max Koss, Judith Rauser, Lynn Rother, Andreas Schalhorn, Noemi Scherrer, Joachim Sieber, Jennifer Tonkovich und Felix Uhlmann.